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Finale der Alpenüberquerung! Von der Martin-Busch-Hütte nach Meran. Lets go!


Ich wache völlig gerädert und erschöpft auf und bleibe ewig in meinem Zelt liegen, weil ich mich nicht zum Aufstehen aufraffen kann. Das anscheinend keimbelastete Wasser vom Vortag hat mich komplett außer Gefecht gesetzt und mir eine fürchterlich anstrengende, unruhige und kaum erholsame Nacht beschert. Ich öffne eine Zeltluke des Vorzeltes und versuche mich zu orientieren, wo ich überhaupt mein Zelt gestern in der Dunkelheit aufgestellt habe und ob das überhaupt in der richtigen Richtung war? Sieht so aus, als bin ich gestern Nacht instinktiv in die richtige Richtung gelaufen.

Ein paar Wanderer begrüßen mich an diesem Morgen. Sie erzählen mir, dass sich fast 70-80% der Wanderer letzte Nacht noch übergeben haben und es auf der Hütte zuging, wie in einem Krankenlazarett. Völlig ausgelaugt und unwillig versuche ich in Zeitlupe meine Ausrüstung zu packen und mein Zelt abzubauen. Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich es endlich vollbracht. Es ist ca. 08:30 oder 09:00 Uhr, reichlich spät jedenfalls und ich denke mir nur, wie soll ich nur diesen brutal schweren Rucksack, da ich heute so erschöpft bin aufsetzen und die 500-600 Höhenmeter hoch zum Sattel und zur Similaun Hütte bringen?

Irgendwie geht es. Ich laufe langsam mit dem Rucksack auf meinen Schultern los. Langsam wie eine Scheißhausfliege, die gerade aus dem Winterschlaf erwacht ist, stapfe ich den Weg entlang. Wie ätzend, das wird definitiv ein harter Tag. Die Tatsache, dass ich nur ca. 500 Höhenmeter aufsteigen muss und es danach nur bergab geht, macht mir Mut, ich reiße mich zusammen und kämpfe mich den Weg hinauf.

Nach einer leichten Biegung sehe ich in der Ferne bereits den Sattel und kann sogar die Hütte ganz winzig an der rechten Flanke erkennen. Es ist zwar sehr weit von dem Punkt aus an dem ich stehe, besonders wenn man berücksichtigt, wie ich mich fühle, aber ich weiß, dass ich in zwei bis drei Stunden da oben sein kann, denn jeder Schritt und sei er noch so klein und langsam bringt mich meinem Ziel ein Stück näher.

Ich mache immer wieder Pause und ruhe mich aus. Besonders mein Rücken und meine Schultern brauchen heute viel Entlastung, da meine körperliche und geistige Widerstandsfähigkeit an einem Tiefpunkt ist. Ich komme nach einer Weile an einem Schild vorbei, auf dem steht “Ötzi Fundstelle”.

“Ah ja”, denk ich mir. Eigentlich interessant, aber mein einziges Ziel ist der Sattel dort oben in der Ferne. Ich denke jedoch über den Ötzi nach und überlege, was er wohl zu seiner Zeit hier getrieben hat. Wie war wohl seine Ausrüstung?

War er womöglich einer der ersten Bergsteiger und Abenteurer? All diese Mutmaßungen, Analysen und Theorien werden im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen genauer beantwortet.

Solche Gedanken lassen mich kurzzeitig vergessen, wie elendig ich mich heute fühle. Langsam wie eine Schnecke, krieche ich unter dem schweren Gewicht meines Rucksacks immer weiter nach oben und setzte einen mühsamen Schritt vor den anderen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit bringe ich den finalen Anstieg endlich hinter mich. Ich bin endlich an der Similaunhütte, 3019 Meter über dem Meeresspiegel angekommen.


Gleich beim Hereinkommen merke ich sofort, diese Hütte ist anders als die bisherigen Hütten. Ich sehe den Eingangsbereich aus Holz die Ausrüstung für Gletschertouren, steigeisenfeste Stiefel, Seile, Gurtzeug, Eispickel, Helme und weitere Indizien, die mir mitteilen, dass von hier aus Aufstiege über vergletschertes Gelände zu den umliegenden Gipfeln unternommen werden. Die Bergführer gehen zielstrebig ihren Tätigkeiten nach.

Das ist das richtige “Bergsteiger Hütten Gefühl" ganz anders als die bisherigen, eher touristischen Hütten für Bergwanderer. Das ist keinesfalls abwertend gemeint, sondern lediglich eine Feststellung.

Meiner Ansicht nach kann man die Berge auf sehr unterschiedliche und vielfältige Weise erfahren. Dabei gibt es für mich kein “richtig” oder “falsch”, “besser” oder “schlechter”. Die Menschen sind nunmal sehr vielfältig und sehr unterschiedlich und haben dementsprechend unterschiedliche Bedürfnisse, Fähigkeiten und Risikobereitschaft. Wichtig ist nur, dass Sie dem Berg und generell der Natur mit Respekt, Achtung, Demut und Dankbarkeit begegnen und so wenig wie möglich oder am Besten gar keine Spuren ihres Aufenthalts hinterlassen.

Ich blicke hinauf zu den umliegenden Gipfeln und den blanken Gletschern und erinnere mich an meine Touren im Eis und Fels! Anbei ein kleiner Rückblick zum Matterhorn und der Monte Rosa Runde!

Ich schätze darüber werde ich auch einmal schreiben müssen, als wir hier innerhalb von fünf Tagen über 20 x 4000er Gipfel, Inklusive Matterhorn und Dufourpsitze bestiegen haben! Lasst mir einen Kommentar da, wenn ihr auch diese Geschichte einmal hören wollt!

Nach einer kurzen Pause entscheide ich mich, über den Sattel abzusteigen und nehme die finale Etappe des Tages in Angriff. Zwei Stunden Abstieg sind es hinunter nach Vernagt. "Na, das schaffe ich wohl noch”. Es geht mir nun gefühlt langsam ein bisschen besser, auch wenn ich lange noch nicht wieder fit bin.

Der Abstieg ist gleich zu Beginn sehr steil und felsig und man muss an einigen Passagen die Hände für mehr Balance und Halt zur Hilfe nehmen.

Mit einigen Pausen kämpfe ich mich allmählich hinunter und verliere schnell an Höhe.

Gerade der Beginn dieses Abstiegs ist herrlich, weil er durch exponiertes und alpines Gelände führt und dabei einen herrlichen Ausblick hinunter ins Tal bietet.

Nach kurzer Zeit des Abstiegs wird das Geländer flacher und geht in ein Geröllfeld über. In der Ferne sehe ich schon den türkisblau funkelnden Stausee von Vernagt im Tal liegen.

Genau da unten ist mein Ziel und somit das Ende der heutigen Etappe erreicht! Ich überhole ein paar von den anderen “kranken leidensgenossen", die sich ebenfalls wie ich an diesem Tag beschissen fühlen.

Man spürt, dass die Luft mit jedem Meter hinab wärmer wird und der Geruch in der Luft ein anderer ist. Wir befinden uns jetzt südlich der Alpen und das merkt man auf vielfältige Weise.

Die Steinformationen und Beschaffenheit sind anders. Klar, weil wir auch noch höher sind, aber auch, weil das Klima auf dieser Seite dieser riesigen steinernen Kontinentalwand aufgrund der Nähe zum Mittelmeer anders ist. Man spürt bereits ansatzweise, obwohl es bereits Anfang September ist, das mediterrane Klima, das hier herrscht.

Nach etwa zwei Stunden Abstieg komme ich an einer kleinen Wirtschaft am Stausee in Vernagt an. Dort ist auch der Rest der kränkelnden und angeschlagenen Truppe.

Geschafft! Die klassische E5 Alpenüberquerung in 6 Etappen endet hier normalerweise. Es waren etwa 115km über 12.300 Höhenmeter auf und ab über mehrere Scharten, Sattel und entlang so einiger der Alpentäler!

Ich lege meinen schweren Rucksack ab und spüre die wohltuende Entlastung meiner Schultern. Was für eine Erleichterung das ist. Ich setze mich auf eine der Bänke und unterhalte mich mit den anderen, die mir erzählen, dass Sie sich heute auch alle absolut elend fühlen und mit Ach und Krach über diese Etappe gekämpft haben. Ich setze mich zufrieden auf eine der Holzbänke und gönne mir mal wieder ein erfrischendes Skiwasser, während ich mich mit den anderen austausche, wie es Ihnen denn so ergangen ist.

Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und recherchiere, ob ich den restlichen Weg von Katharinaberg über den Meraner Höhenweg in ein bis zwei Tagen nach Meran noch laufen soll. Es soll wohl eine recht schöne Wanderung sein, aber dagegen spricht, dass das Wetter nicht ganz so prickelnd sein soll. Darüber hinaus ist es eher eine “Wanderung” und hat noch weniger mit “Bergsteigen” zu tun als die E5 Alpenüberquerung. Wie ihr vielleicht wisst, bin ich eher Bergsteiger als Wanderer und brauche eher die Herausforderung und Ertüchtigung am Berg als eine schöne entspannte Wanderung durch nahezu flaches Gelände. Ich glaube, der Weg ist sehr zu empfehlen, aber ich entscheide mich dazu, es dabei zu belassen und nehme den Bus hinunter ins Tal nach Meran.

Also nochmal den Rucksack auf die Schultern und hinunter zur Bushaltestelle gelaufen. Es folgt eine Busfahrt in einem heillos überfüllten Bus, der sich nur langsam auf dem Weg ins Tal leert. Der Bus hält einmal kurz in Katharinaberg und fährt anschließend weiter hinunter nach Naturns. Dort steige ich um in den Bus nach Meran. Wie so oft treffe ich Hannah und Nicklas im Bus, die auf dem Weg ins gleiche Youth Hostel sind. Im Gegensatz zu ihnen hatte ich nicht reserviert, aber ich habe Glück und bekomme noch ein Bett für die Nacht.

Total happy gehe ich auf mein Zimmer, schließe die Tür hinter mir und lege meinen Rucksack ein allerletztes Mal an diesem Tag ab. Endlich geschafft! Dieser Tag hat mir wirklich einiges abverlangt, aber jetzt kann ich endlich zur Ruhe kommen und mich erholen! Ich zögere nicht lange und suche sofort das Bad auf, um mich unter die Dusche zu stellen. Als ich mein Oberteil ausziehe, sehe ich Druckstellen an Schultern und Schlüsselbeinen genauso wie an meiner dunkelblau verfärbten Haut über den Hüftknochen. Es sind all diejenigen Stellen, an denen das Gewicht des Rucksacks die letzten sechs Tage auflag und getragen wurde. Da sind auch ein paar kleine aber vielzählige Blutergüsse am Bauch, weil meine Sony Kamera, die ich immer um den Hals getragen hatte, gegen meine Bauchfalte oberhalb des Hüftgurtes gestoßen ist. Die warme Dusche ist eine Wohltat. Das Wasser schmerzt fast schon auf meinen Schultern, als es auf mich herab prasselt, aber ich genieße es. Endlich werde ich nach fast einer Woche wieder einigermaßen sauber. Frisch geduscht unterhalte ich mich kurz mit meinem Zimmergenossen und mache mich anschließend auf, und suche mir eine Pizzeria um die Ecke. Ich sitze draußen vor der Pizzeria, es geht ein leichter frischer Wind und es ist bereits dunkel geworden. Nachdem ich drei Stücke gegessen hatte, spüre ich, dass ich mich bereits satt fühle. Ich klappe den Pizzakarton zu und gehe wieder zurück ins Hostel und auf mein Zimmer, beziehe dort noch rasch mein Bett und falle sofort erschöpft und zufrieden in einen gerechten und wohltuenden Schlaf!

Das meine Lieben war gerade einmal der Auftakt meiner Weltreise! Tag Nummer 6 von womöglich 730 weiteren Tagen. Diese Alpenüberquerung war quasi der Beginn und die erste Einstimmung auf die kommenden zwei Jahre! Noch befinde ich mich im Zentrum Europas, in kulturell bekannten Gefilden und die Menschen um mich herum sprechen die gleiche Sprache! Dies soll sich nun aber nach und nach mit jedem weiteren Tag ändern. Je weiter ich mich von “zu Hause” entferne, desto unvorhergesehener werden die Geschehnisse! Ich bedanke mich bei euch, dass ihr mir auf meinem Weg über die Alpen gefolgt seid und mich entlang des Weges begleitet habt. Es ist mir eine riesen Freude euch mitzunehmen und ich nehme euch auch weiterhin in regelmäßigen Abständen auf meiner Reise ostwärts um die Welt mit, wenn ich nicht gerade versuche einen der hohen Gipfel zu erklimmen und deswegen verhindert bin. Da es nun seit zwei Wochen keinen Eintrag gegeben hat, könnt ihr euch bereits zeitnah auf den nächsten Blog Eintrag freuen, denn ich erzähle euch ein wenig von meiner Zeit in Meran und Italien!

Bleibt gesund, seid mutig und hört auf euer Herz!

Euer Norrdine Nouar


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