
Ein weiteres Mal sitze ich im Nachtbus und werde wegen eines anstehenden Grenzüberschrittes geweckt. An der bulgarisch-türkischen Grenze verlasse ich nun also Europa nach Vorderasien, wie man zu sagen pflegte. Nun ja, geografisch gesehen befinde ich mich immer noch auf dem europäischen Teil der Türkei. Diesmal gehen wir samt Gepäck zur Passkontrolle. Der junge türkische Grenzbeamte scheint sehr müde zu sein, während wir da stehen und warten, zieht er draußen stehend an seiner Zigarette, anscheinend nicht gerade erpicht darauf seinen Job zu machen. Er geht zu seinem Schalter, wischt sich mit beiden Handflächen über sein Gesicht, um seine Müdigkeit loszuwerden und beginnt mit der Überprüfung unserer Dokumente und stempelt anschließend die Visa in unsere Reisepässe. Die Gepäck Kontrolleure fragen mich aufgrund meiner Ausrüstung neugierig, ob ich campen gehe. Ich nicke Ihnen zu, versuche ihnen zu erklären, dass ich Bergsteiger bin und lächle sie ziemlich verschlafen und müde an. Wir steigen wieder in den Bus und fahren weiter in Richtung des Bosporus nach Istanbul, dort wo sich Europa und Asien treffen, wo das Mittelmeer vom schwarzen Meer getrennt wird, wo seit jeher ein Austausch zwischen zwei großen Kulturen stattfand und wo einst das östliche Zentrum des Römischen Reichs, namens Konstantinopel stand. Kurzum, es ist ein sehr bedeutender Knotenpunkt der Geschichte und Zivilisationen und nicht nur eine Stadt an einem Meeresufer. Es ist noch sehr früh am Morgen, circa 06:00 Uhr, als ich aus dem Bus aussteige. Ich setze meinen großen Rucksack auf den Boden und versuche alles einigermaßen zu sortieren und zu verstauen, damit ich bereit bin, die Stadt zu erkunden und loszuziehen. Als ich nach einer Weile sortieren und umpacken meinen Rucksack schultere bemerke ich, dass mir meine Gletscherbrille fehlt. “Nicht schon wieder denke ich mir”, denn ich habe bereits schon einmal das selbe Modell in der Slowakei liegen lassen, nachdem ich die Gerlachspitze über die Martin Route Solo bestiegen hatte. Den vier Franzosen, die gemeinsam mit mir ins Zentrum der Stadt fahren wollten, sage ich, dass sie ohne mich losgehen sollen, weil ich den Busfahrer finden muss, damit er mir den Bus aufsperrt. Ich schaue mich in der Gegend um und warte in der Nähe des Busses, ob der Fahrer zurückkommt. Ich sitze also da und warte und es vergeht bald eine Stunde, als mir der Geistesblitz kommt, dass der Busfahrer womöglich im Bus liegt und schläft und ich vergebens darauf warte, dass er zurückkommt. Also klopfe ich an der Tür des Busses und bin mir ziemlich sicher, dass der Busfahrer total müde von der langen Fahrt bereits im inneren schlummert. Und so war es auch, ich weckte den armen müden Fahrer auf und er öffnete mir die Tür und ließ mich in den Bus, als ich ihm zu verstehen gab, dass ich etwas vergessen hatte. Ich gehe den schmalen Gang entlang zu meinem Sitz und finde meine Brille unterhalb des Sitzes auf dem Boden liegen. Sie muss mir im Schlaf wohl heruntergefallen sein. Ich bin heilfroh, dass ich meine Gletscherbrille wiedergefunden habe und nicht ein zweites Mal verloren habe. Ich laufe ein wenig planlos umher, um den Zugang zur Metro “Otogar istasyonu” am Busbahnhof zu finden. Als ich endlich fündig werde, löse ich mir gleich eine Istanbulcard am Fahrkartenautomat und lade sie mit 50 Lira, umgerechnet ca. 3€ auf, denn ich werde mit Sicherheit eine längere Zeit in dieser Stadt verbringen. Die U-Bahn erscheint mir im ersten Moment nicht wirklich modern und sieht nach einer günstigen türkischen Ingenieursleistung aus, die pragmatisch, zweckgebundener Natur zu sein scheint. Das fällt mir immer dann auf, wenn die Mechanik und Technik nicht aus ästhetischen Gründen verborgen wird und die Handhabung eher grob und funktionell und nicht so sehr benutzerfreundlich anmutet. Warum mache ich mir über solch banale Dinge Gedanken? Ich bin mir nicht wirklich sicher, es fällt mir einfach auf und ich denke darüber nach und erhoffe mir dadurch vielleicht einen Einblick in das Gemüt und das Wesen der Gesellschaft und der Menschen, die ich neu kennenlernen darf. So mustere ich auch die Menschen in der U-Bahn. Ich schaue den Bewohnern der Stadt ins Gesicht, in die Augen, versuche ihren Phänotyp zuzuordnen, analysiere ihre Körperhaltung, ihren Ausdruck und schlussendlich auch wie sie sich geben, wie sie sich kleiden und versuche mir daraus einen Reim zu machen, wer diese Menschen sind und was sie bewegt. Natürlich ist dies durch eine einzelne Betrachtung von außen nicht möglich, dennoch versucht unser Verstand permanent Dinge, die er wahrnimmt, einzuordnen und zu kategorisieren. Auf den ersten Blick meine ich, mongolische, turkmenische und fern asiatische Merkmale in den Gesichtern auszumachen. Bei manchen sehe ich mehr dominante arabische Züge, aber es ist eine undefinierte unbestimmte Mischung aus diesen beiden und höchstwahrscheinlich noch viel mehr genetischen Einflüssen über die letzten Jahrhunderte. Ich erkenne manche Gesichtszüge von türkischstämmigen, in Deutschland lebenden Menschen wieder. Besonders das fern asiatische mit den leicht mandelförmig anmutenden Augen und heller, weicher Haut fällt mir auf. Nach ein paar Stationen verlasse ich die U-Bahn und gehe nach oben, um auf den Bus zu wechseln. Ich stelle mich an die Bushaltestelle und wiederhole in Gedanken T32 und T89. Das sind keine Terminator Modelle oder Typenbezeichnungen, sondern die Buslinien, die ich nehmen muss, um meinem Ziel, dem Wasabi Hostel in der Nähe des Taksim Platzes näher zu kommen. Da stehe ich an dieser riesigen vier bis fünfspurigen Straße und der Verkehr presst sich vor mir langsam aber stetig ins Zentrum der Stadt und gefühlt 100 Busse mit verschiedenen Zahlen und Buchstaben Kombinationen von E22 bis Y89 kommen vorbei. “Merkwürdiges Verkehrssystem” denke ich mir, aber anscheinend funktioniert es besser oder schlechter. Nach einer längeren Wartezeit, kommt endlich ein Bus mit einer der beiden Zahlenkombinationen, die mir fast schon willkürlich erscheinen. Zum Glück passe ich noch mit meinem riesigen Rucksack in das gelbe Fahrzeug mit der Nummer T32 und fahre zusammen mit den vielen angestellten Bürgern Istanbuls, die auf dem Weg zur Arbeit sind, hinein ins Zentrum. Wir schieben uns gemeinsam mit vielen anderen Fahrzeugen durch die überfüllten Straßen mit dem Ziel Taksim Platz. Dann öffnet sich der Großstadtjungle plötzlich, als wir auf die Brücke zu fahren, die im geschwungenen Bogen diesen Nebenarm des Bosporus überspannt. Es ist das sogenannte goldene Horn, das in den gewaltigen Bosporus mündet. Plötzlich eröffnet sich mir ein Blick in das Herz der Stadt zu allen Seiten, wie eine riesengroße aufsteigende Tribüne ist die 15,5 Millionen Einwohner Stadt, um die Flussläufe gewachsen, gigantisch diese Ansammlung von Menschen an diesem Geschichtsträchtigen und strategisch bedeutsamen Ort zwischen Europa und Kleinasien. Das ehemals östliche Zentrum der bekannten Welt namens Konstantinopel und das Herz des osmanischen Reichs. Ich bin von diesem Anblick überwältigt. So enorm, so gigantisch, unübersichtlich, im Verlauf der Zeit wild gewachsen und fast irrational riesig. Wir Menschen sind wahrhaftig wundersame, außergewöhnliche und merkwürdige Wesen. Was wir vollbringen, was wir erschaffen und wie wir uns manchmal notgedrungen und manchmal bewusst entscheiden zu leben, ist einfach faszinierend und manchmal fast verstörend. Sprachlos von diesem Anblick, bleibt mir nichts weiter als es wahrzunehmen, anzunehmen und zu akzeptieren. Was ich genau darüber denke, erschließt sich mir noch nicht und diesen Anblick werde ich in den kommenden Tagen erst noch verarbeiten. Aber es löst in mir Verblüffen aus, das kann ich mit Gewissheit sagen. Der Bus überquert die Brücke und wir tauchen wieder zwischen den hohen Gebäude der Großstadt ein. Es geht eine gewundene Straße bergauf bis in den Taksim Tunnel hinein. Ich verlasse den Bus im Tunnel und steige die nächstgelegenen Stufen empor und sehe viele Obdachlose im Tunnel und auf den Treppenaufgängen liegen, während sie noch schlafen. Ich steige weiter nach oben und befinde mich auf einem großen Platz am Taksim Meydani und hinter mir steht wunderschön in der Morgensonne die Taksim Cami Moschee. Ich schieße ein Bild von diesem Moment und schicke Morgengrüße aus Istanbul in die “Heimat”. Ich laufe die Straße weiter den Berg hinauf und spüre, wie die Stadt allmählich aufwacht. Auch diese Stadt schien gerade eine bewegte, berauschende und ereignisreiche Nacht hinter sich zu haben. Ich gehe weiter und nehme das geschäftige Gewusel an diesem Morgen um mich herum wahr und komme nach einem Kilometer zu Fuß in eine kleine Seitenstraße auf der linken Seite der Hauptstraße, die den Berg steil hinab führt. Ein kleines Stück weiter unten biege ich nach rechts ums Eck in eine weitere Gasse ab und stehe vor dem Hostel, das ich suche.

Ich stehe um 09:00 Uhr morgens vor dem Wabi Sabi Hostel und trete zur Doppeltür in den modernen Eingangsbereich des Hostels ein. Ich stelle mich bei der Rezeption vor.



Man kann mich erst um 14 Uhr einchecken, denn mein Zimmer bzw. mein Bett ist noch belegt. Es wird mir jedoch angeboten, dass ich mein Gepäck bereits im "Luggage Room” verstauen und mich anschließend frei und mit dem Wifi Passwort ausgerüstet im Hostel wie zu Hause fühlen kann. Das Hostel ist sehr modern gestaltet. Eine Kombination von Weiß und Anthrazit bildet die Design Grundlage. Kräftige neonfarbene Farbakzente in Form von Linien, Beschriftungen, Symbolen oder Raumnummern akzentieren die räumliche Umgebung und Einrichtung. Es ist ein moderner, junger Style mit loungigem Charakter, der zum lässigen und ungezwungenem “Dasein” einlädt.

Das ganze Hostel ist eher kompakt und clever gestaltet. Ich nehme den Fahrstuhl und drücke auf den Knopf mit der Nr. 6 “Rooftop, Bar, Restaurant”. Ich fahre gespannt nach oben, um das Highlight des Hostels zu sehen, aufgrund dessen ich es im Vorfeld online bei Hostelworld ausgewählt habe. Die gläserne Fahrstuhltür öffnet sich und eine große weite Fensterfront mit weitem, sonnigen Blick über die Stadt und Dächer von Istanbul heißt mich auf der Terrasse willkommen.
Überall sitzen Hostelgäste und unterhalten sich angeregt, während sie noch beim Frühstück sitzen. Ich höre viele, nahezu akzentfreie englische Konversationen, die mir sofort ein internationales Flair vermitteln. Die Atmosphäre ist extrem entspannt und "chillig", was durch die Loungemusik bei moderater Lautstärke unterstrichen wird.

Ich fühle mich sofort wohl und freundliche, begrüßende Blicke und gesten der Gäste heißen mich hier oben als Neuankömmling und einer von ihnen willkommen. Ich suche mir einen Platz an einem hohen Tisch in dem hinteren nicht überdachten areal der Terrasse und setze mich auf einen Hocker, während ich über die Dächer von Istanbul blicke und mir die warme Sonne sanft ins Gesicht strahlt, eine leichte Windbrise durch mein dunkles, lockiges und etwas zerzaustes Haar weht.

Ich sitze da und schlürfe zufrieden einen traditionellen türkischen schwarzen Tee und lasse die Aussicht und Atmosphäre auf mich wirken. Ich schnappe mein Handy und rufe per Videochat meine geschätzten Kollegen in der Heimat an, die gerade im Büro bei der Arbeit sitzen, denn ich habe ihnen versprochen, sie das nächste Mal von Istanbul aus anzurufen. Ich verbringe den ganzen Tag hier oben und lasse mich langsam entschleunigen. Ich bin endlich angekommen und kann hier in dieser Stadt etwas konsolidieren. Dinge organisieren, regeln, reparieren, vorbereiten, günstig leben und entspannt meine weiteren Reiseziele durchplanen. Nach einer Weile schlafe ich auf einem Sofa auf der Terrasse ein, ohne dass ich es bemerke. Nach zweieinhalb Stunden wache ich auf und bemerke, dass es bereits nach 16 Uhr ist. Ich gehe etwas verplant runter an die Rezeption und checke ein. Ich bin in Zimmer 32 auf der dritten Etage in Bett Nummer 4. Es ist ein kleines Kompaktes 4-Bett-Zimmer auf zwei Doppelstockbetten aufgeteilt mit einem schmalen Gang dazwischen. Ich werde hier hauptsächlich schlafen und sonst meine Zeit in der Stadt und auf der Terrasse des Hostels verbringen. Ich verstaue den Inhalt meines Rucksacks irgendwie halb mit System in meinem Spind und gehe anschließend kurz vor die Tür ums Eck in einen kleinen Supermarkt, um mir ein paar Pflegeartikel, wie Zahnpasta, Duschgel, Deo etc. zu kaufen. Danach ging ich zurück ins Hostel und sprang sofort unter die Dusche, die ich dringend nötig hatte.
Nachdem ich alles einigermaßen in Ordnung, sortiert und geregelt hatte, bemerkte ich, dass ich langsam hungrig wurde. Also ging ich erneut vor die Tür und laufe neugierig durch die Straßen und Gassen auf der Suche nach einem typischen türkischen Abendessen. Ich komme an einigen herrlich duftenden Läden vorbei, die mich sofort zu ihrem Eingang hineinziehen und meine Neugier wecken.
Es duftet herrlich nach allen möglichen Kräutern, Teesorten und Gewürzen und an der Decke hängen natürliche Schwämme. Auf der rechten Seite dieses Ladens finden sich in gläsernen Ablagen verschiedene Nüsse, Datteln und weitere getrocknete Früchte aller Art.
Ich schaue weiter und entdecke zwei Geschäfte weiter eine Patisserie mit köstlich anmutenden Fruchttorten und vielen anderen süßen Köstlichkeiten in gerollter Form, wie sie anscheinend im Orient üblich sind.
Zu beiden Seiten der Gasse finden sich verschiedene Geschäfte, wie zum Beispiel ein Schönheitssalon, ein Barbier, verschiedene Imbisse und Restaurants, Fruchtstände und etliches mehr. Ich setze mich in ein Restaurant, das mich anspricht namens Kebapci Celal.

Es duftet und dampft herrlich, als ich daran vorbeikomme und der Inhaber am Grill hinterm Tresen und sein Sohn lächeln mich einladend an. Ich bestelle gegrilltes Lammfleisch mit türkischem Reis, Salat, Tomaten, Zwiebeln und herrlichem Gewürz. Es wird zusammen mit einer angebratenen Peperoni und Tomate serviert und dazu dünnes, rötlich gewürztes Fladenbrot. Ich sitze zufrieden da und beginne mit dem Essen, ich halte immer wieder inne, sehe mich um und lasse das Ambiente dieser engen kleinen Gasse inmitten dieser riesigen Metropole auf mich wirken.

Ich schärfe meine Sinne und Wahrnehmung und beginne die Reize der Umgebung in mich aufzunehmen. Der Duft ist eine Mischung aus allem, was auf der Straße hier so passiert. Nebendran süße Düfte aus dem Schönheitssalon, denn die Frauen hier tragen alle diese süßlichen Düfte. Der Geruch der Früchte vom Obststand diagonal auf der anderen Seite, sowie vom Gemüseladen und dem angebratenen Fleisch vom Grill aus dem Restaurant steigen in meine Nase.

Manchmal, wenn auch selten, riecht man in den Straßen die Abwässer oder den verpackten Müll, der abgelegt wurde, um abgeholt zu werden.
Die Tomaten und Zwiebeln, die mir serviert wurden, sind mit intensiven Kräutern angemacht.
Der rundliche Reis vor mir hat einen köstlichen und unbeschreiblichen, fast schon süßen Geschmack. Man hört leichte orientalische Musik durch die Straßen hallen. Markant ist die Männerstimme, wie sie in traditionellen türkischen Gesängen vorkommt. Und immer wieder fahren Autos und Roller an einem vorbei. Das Fladenbrot ist lecker gewürzt und hat ebenfalls eine süßliche Note, obwohl es deftig gewürzt zu sein scheint.
Man schmeckt leicht die Kohle, über der das Brot geröstet wurde, was dem Geschmack jedoch nicht abkömmlich ist, sondern ihn nur umso aufregender macht.

Es ist sehr lecker und eine spannende Reise für die Sinne. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Abendessen und schaue den Koch an, der in seinem Laden sitzt und zu mir zurückblickt, mit seinen Augen fragend, ob es mir schmeckt. Ich nicke, lächle und signalisiere ihm non-verbal, dass es gut ist. Er senkt leicht sein Haupt, legt beide Hände auf seine Brust und bedankt sich mit einer Geste für meine Anerkennung. Ich spüre, wie es mir leicht scharf wird im Mund, nachdem ich die Peperoni esse und den gut gewürzten Salat. Habt ihr schon mal vernommen, wie angebratene Paprika, Peperoni, Tomaten oder Auberginen schmecken? Es ist ein ganz himmlischer Geschmack, wenn es mit den richtigen Gewürzen und Öl angebraten ist. Es muss aber wirklich scharf, ja fast schon schwarz angebraten sein. Erst wenn es fast verbrannt ist, entwickeln sich ganz besondere Aromen. Istanbul ist für mich bereits jetzt am ersten Tag sehr spannend. Ich kenne zwar die orientalisch, arabische Welt bereits von meinen Besuchen in Marokko, Tunesien und Algerien. Aber hier, zumindest in der Stadt, ist es etwas anders. Es scheint zivilisierter und moderner zuzugehen. Es ist sauberer als in den anderen Ländern und irgendwie besser organisiert. zwar nicht gut, aber besser. Auch erscheint mir das Elend nicht so ganz enorm, wie ich es in den anderen Ländern erblickt habe. Wohl gesättigt lasse ich den Moment weiter auf mich wirken und mich überkommt ein wahnsinnig tolles Gefühl aus meinem innersten heraus. Mir wird in diesem Moment bewusst, dass ich einer von ca. 15,5 Millionen Menschen in dieser Stadt bin. Irgendwie erfreue ich mich an meiner Anonymität und diesem Moment. Ich beobachte das Schauspiel und während ich so da sitze, beginnt pünktlich wie immer, fünf mal am Tag der Gesang des Muezzin, der zum Gebet aufruft und seine Stimme hallt durch die Gassen. Mit Begeisterung sitze ich da und lausche dem Moment, auch wenn dieser Gesang nichts weltbewegend neues für mich ist, empfinde ich die beschriebene Kombination in einer kleinen Nebenstraße in Istanbul als überaus spannend. Zugleich spüre ich, dass mein Zustand ein anderer ist. Ich bin kein Besucher, kein Urlauber oder nur temporär hier und gehe anschließend wieder nach Hause zu meinen Routinen und Gewohnheiten. Nein, es fühlt sich an, als wäre ich ein kleiner Teil eines großen Kollektivs, als wäre ich hier in diesem Moment an diesem Fleck Erde zu Hause und ein Teil des Gesamten. Es fühlt sich an, als wäre ich frei, losgelöst in der Welt, ein anderer, ein Weltbürger und ich gehöre zur Gattung “Mensch” wie alle anderen auch.
Tag 15 /015.09.2022
An diesem Tag habe ich fast bis 11 Uhr geschlafen, um meine Akkus wieder aufzuladen. Ich gehe nach der Dusche auf die Dachterasse, das Zentrum des Geschehens in diesem Hostel und frühstücke vergnügt auf der Terrasse in der Sonne und im leichten Wind.

Zum Frühstück gibt es Tomaten, Gurken, Eier, Oliven, Käse, Wurst, selbstgemachte Aprikosen und Kirschmarmelade, sowie verschiedene süße Gebäckteilchen, Brötchen mit Sesam, Müsli aller Art, Joghurt, Kaffee und schwarzen Tee. Ich verbringe nahezu den gesamten restlichen Tag auf der Terrasse und schreibe den gesamten Tag.

Trinke Wasser, Limonade und nehme meine in Wasser aufgelöste Multivitamintablette und meine vegane B12, D3 Nahrungsergänzung zu mir und schreibe fleißig an meinem Buch. Das Hotelpersonal putzt währenddessen um mich herum die Terrasse und meine Hand gleitet immerzu über das Papier.

Ich sehe neue Gäste kommen und gehen und sehe, wie sie chillen. Am Abend treffe ich Paul & Ivan aus Irland und unterhalte mich angeregt mit Ihnen über Irland, Deutschland, Europa und UK. Wir gehen abends gemeinsam ins selbe Restaurant des Vorabends, essen und haben eine gute Zeit zusammen. Anschließend verbringen wir den Abend mit lauter DJ Musik auf der Terrasse, wo ich mich mit Ezzy aus San Francisco, den Hostel Mitarbeitern und weiteren Gästen von überall aus der Welt unterhalte.
Ziemlich vernünftig beschließen wir, den Abend nach einem Bier ausklingen zu lassen. Auf den sogenannten Pub Crawl verzichte ich und gehe rechtzeitig zu Bett.
Tag 16 / 16.09.2022
Am Morgen des 16.09.2022 werde ich vom sanften Sonnenlicht, das durch das große Fenster in unser Schlafgemach hinein scheint, geweckt. Leicht verschlafen, aber gut erholt, steige ich vorsichtig, die Leiter meines Bettes herunter und versuche die anderen drei Jungs, die noch schlafen, nicht zu wecken. Sie hatten wohl eine lange Nacht, denn sie kamen erst irgendwann nachts um 4 oder 5 Uhr von der Bar Tour zurück und schliefen noch. Ich schleiche mich aus dem Raum und schlurfe etwas müde in das Badezimmer auf der gegenüberliegenden Seite des Gangs auf unserer Etage und springe unter die Dusche. Nach der Dusche bin ich wach und fit und greife nach dem super warmen Handtuch, das ich zuvor auf den Handtuchwärmer gehängt habe. Ein wahnsinnig tolles Gefühl, so ein warmes Handtuch nach einer kalten Dusche! Ich steige die Marmortreppen hinauf auf die Dachterasse, wo ich erneut von einem tollen Panorama und der unendlich schönen, sanften und friedlichen Morgensonne begrüßt werde. Ezzy, Paul und noch ein paar andere Hotelbewohner sitzen bereits zusammen am Tisch und frühstücken gemeinsam. Ich schnappe mir einen Teller mit Brötchen und einer Tasse, herrlich duftenden schwarzen Kaffee und setze mich dazu. Ezzy hatte sich kurz zuvor türkischen Honig für das Frühstück gekauft und mir etwas davon angeboten. Da ich noch nie in meinem Leben Honig direkt von der Wabe gegessen habe, war ich extrem neugierig und habe sein Angebot dankend angenommen.

Ich schnitt die süßen sechseckigen Waben durch und verteilte sie sorgfältig auf meinem Brötchen. Es schmeckte sehr süß, war äußerst klebrig und hatte einen intensiven, blumigen Geschmack.

Nach dem Frühstück entschied ich mich dazu, noch ein wenig organisatorische Dinge zu erledigen, bevor ich mir erlaube, mich in das Vergnügen zu stürzen und die Stadt zu erkunden. Wie ich bereits erwähnte, habe ich Istanbul als meinen vorgerückten Ausgangs- und Organisations Punkt für meine weitere Reiseplanung ausgewählt, da ich von hier aus meine weiteren Ziele gut erreichen kann, denn nach Istanbul plane ich durch Georgien in den russischen Teil des Kaukasus zu reisen, um dort den 5672 Meter hohen Elbrus, den höchsten Berg Russlands und gleichzeitig, da der Kaukasus geografisch noch zu Europa zählt, Europas höchsten Berg und somit einen weiteren der seven Summits zu besteigen. Dafür muss ich jedoch in diesen unsicheren Kriegszeiten entsprechende Vorbereitungen treffen, damit ich ein 30 Tage Visum für Russland erhalte. Dieser Prozess ist nicht ganz einfach, denn das Visum wird mir von der russischen Botschaft in Leipzig ausgestellt. Dafür muss ich meinen Reisepass, meinen Versicherungsnachweis und viele weitere Angaben und Details per DHL Express verschicken und darauf hoffen, dass alles reibungslos funktioniert. Darüber hinaus bitte ich meine ehemaligen Vermieter, dass Sie mir meine Gletscherausrüstung per Post nach Istanbul schicken. Kurz gesagt, damit die Reise im Anschluss gut und ohne Komplikationen weiter verlaufen kann, muss ich mich noch um einige organisatorische Dinge kümmern.

Währenddessen gönne ich mir gelegentlich eine heiße Tasse, frisch aufgebrühten türkischen Kaffee.

Ich liebe den Geschmack von türkischen Kaffee, er ist auf eine besondere Art intensiv, da der Kaffee vorher zu Pulver gemahlen wird und das Wasser direkt zusammen mit dem Kaffee aufgebrüht wird. Der Kaffeesatz bleibt in der Tasse, während man ihn trinkt. Deshalb muss man sich auch vorher entscheiden, ob man seinen Kaffee mit oder ohne Zucker trinken möchte, damit man nicht nachträglich alles umrühren muss. Während ich so brav da sitze und mich, um meine weitere Reiseplanung und organisatorisches kümmere, sehe ich einen tollen Slogan in einem Bilderrahmen an der Wand und muss leicht schmunzeln.

Ziemlich treffend für meine derzeitige Situation, denke ich mir. Ich bereue meine Entscheidung, meinen Job gekündigt und damit eine Karriere abgelehnt zu haben, nicht einen Moment, denn ich fühle mich so befreit, wie noch nie in 35 Jahren. Ich kann jederzeit genau das tun, was mein Herz verlangt und genau das tue ich. Ich muss mich nicht dazu zwingen, etwas zu tun, das nicht meinem Naturell entspricht und in mir eine innere Ablehnung hervorruft. Lustig, dass ich genau das erwähne, während ich mich um langweiligen Organisationskram kümmere. Tja, ganz ohne Organisation geht es dann eben doch nicht. Nachdem ich mich so ziemlich um alles gekümmert habe, klappe ich den Laptop zu und verstaue mein “mobiles Büro” in meinem Zimmer. Mir war am Morgen, als ich nach der Dusche in den Spiegel gesehen habe, aufgefallen, dass mein Bart und meine Haare bereits etwas lang geworden sind und ich daher etwas wild aussehe. Ich beschließe also kurzerhand den Barbier um die Ecke aufzusuchen, damit er mir eine ordentliche Rasur verpasst und mir meine Haare etwas kürzer schneidet, damit ich nicht mehr ganz so wild aussehe.

Ein Besuch bei einem arabischen bzw. türkischen Barbier ist immer wieder ein Erlebnis. Diese Menschen verstehen ihr Handwerk durch und durch. Es gibt nichts über eine saubere und traditionelle Klingenrasur. Die Seife wird durch einen Rasierpinsel von Hand aufgeschäumt und gleichmäßig auf den Bart aufgetragen, dabei werden die Stoppeln und die Haut ganz weich und geschmeidig und die Klinge gleitet besser an den Konturen des Gesichts entlang. Konzentriert und sorgfältig, strafft er bei jeder Klingenbewegung am Hals am Kinn und im Gesicht die jeweilige Hautpartie. Rückstandslos und ohne die Haut zu verletzen führt er die scharfe Klinge gekonnt über alle Unebenheiten oder Falten, sofern man bereits welche hat. Zusätzlich schärft er alle Konturen am Haaransatz und liefert schlussendlich ein perfektes Ergebnis ab. Zuletzt reibt er seine Hände mit einem anregend duftenden und hochprozentigem Aftershave ein und verteilt dieses auf den frisch rasierten Stellen meines Gesichts, um alles zu desinfizieren und um Entzündungen vorzubeugen. Auf Wunsch entfernen manche Barbiere im Orient auch noch die Nasen- und/oder Ohrenhaare mit Alkohol und Feuer oder korrigieren die Augenbrauen mit einem dünnen Faden.

Da ich nun wieder einigermaßen, wie ein zivilisiertes Wesen aussehe, erlaube ich mir nun die Stadt zu erkunden.
Ezzy und Paul, die mich fast nicht wiedererkannt haben, fangen mich in der Lobby ab und fragen mich, ob ich Lust hätte, mit ihnen zusammen zu Mittag zu essen. Vogelfrei und flexibel wie ich bin, sag ich den beiden “of course” und wir ziehen gemeinsam los in Richtung Taksim Platz.

Ezzy meinte zu uns er hätte von einem sehr authentischen und typisch türkischen Restaurant bzw. Imbiss gelesen, welches er mit uns zusammen aufsuchen möchte. Paul und ich haben keine Einwände, ganz im Gegenteil, als Reisender ist man immer froh, wenn man eine gute Empfehlung oder Idee von anderen Reisenden oder Locals bekommt, denn das Angebot ist einfach unfassbar groß, dass man manchmal das Gefühl hat von der Fülle erschlagen zu werden und man gar nicht genau weiß, woran man sich orientieren soll. Außerdem liegt das Wörtchen “gut” wirklich im Auge des Betrachters. So hat wahrscheinlich die Tochter von Roman Abramowitsch eine ganz andere Vorstellung davon, was “gut” ist, als ich es empfinde. Dieses kleine, etwas heruntergekommene, aber authentische türkische Restaurant, in dem die Locals essen gehen entspricht viel eher meinem Geschmack als ein chices, gehobenes, überteuertes, touristisches und unauthentisches fünf Sterne Restaurant.

Im Prinzip läuft es so ab, dass man dem Koch hinter dem Tresen sagt, was man alles gerne hätte und er macht einem dann entsprechende Schälchen davon.

Wir bestellen alle etwas Unterschiedliches und probieren jeweils voneinander, um die maximale Geschmackserfahrung zu erleben. Ich empfehle den beiden Jungs, dass sie unbedingt den türkischen bzw. arabischen Reis probieren müssen, denn das ist meiner Meinung nach der beste Reis, den es gibt. Ezzy wirft sich vorher noch eine Tablette ein, die ihm bei seiner Laktoseintoleranz hilft und ist bereit loszulegen. Wir probieren alles von Kartoffeln über gebackene Zucchini, angebratene Auberginen, verschiedene Fleischgerichte in verschiedenen Saucen. Dazu darf natürlich Brot und ein Becher Ayran nicht fehlen. Natürlich muss zum Schluss noch eine Süßspeise her, wenn man schon mal in Istanbul ist. Also überrede ich die beiden dazu, nochmal mit mir die Treppe des Restaurants hinunter zu steigen, um die Auswahl zu begutachten. Jeder wird fündig und wir lassen uns die süßen orientalischen Köstlichkeiten und Kaffee bringen.

Ich entscheide mich für Kadayif mit einem Pistazien Topping. Dabei handelt es sich um süße, feine Teigfäden.

Ich erinnere mich nicht mehr ganz genau, was Ezzy sich bestellt hatte, aber es war eine Art Soufflee. Äußerst gut gesättigt machen wir uns auf den Weg zurück ins Wabi Sabi Hostel. Wir schlagen eine alternative Route ein, damit wir nicht die langweilige Hauptstraße, die mit touristischen Hotspots gepflastert ist entlang laufen und ein bisschen mehr von den engen und steilen bergauf führenden Gassen sehen, in denen die lokalen Bewohner Istanbuls zu Hause sind. Es ist viel spannender zu sehen, wie die Menschen vor Ort leben und wie ihre Realität aussieht. Von ihnen zu hören, wie es ihnen geht, welche Gedanken und Ansichten sie zu verschiedenen Themen haben und welche Wünsche, Ängste, Sorgen, Nöte, Hoffnungen und Träume sie haben.
Nach einer Weile zu Fuß kommen wir wieder in der Lobby des Hostels an. Eine Katze hat es sich auf einem der Sofas bequem gemacht und schläft friedlich auf den grauen Kissen, während sich manchmal Hostelgäste zu ihr gesellen.


Die Katzen in Istanbul sind schon ein lustiges Phänomen für sich. Fast wie eine Parallelgesellschaft, die mit den Menschen in dieser Metropole lebt. Sie sind quasi überall und werden zumeist sehr freundlich von den Menschen in Istanbul mit ausreichend Nahrung und bequemen Schlafplätzen versorgt =).
Auch an diesem Abend suchen wir natürlich das Zentrum des Geschehens auf und begeben uns auf die Dachterrasse, um den restlichen Abend dort oben gemeinsam zu verbringen. Gerade als wir dort oben ankommen, werden wir Zeuge eines wundervollen Schauspiels unserer Sonne. Der feurig heiße und permanente Fusionsreaktor namens Sonne, der seit ca. 4,5 Milliarden Jahren existiert und regelmäßig, wie ein Uhrwerk seitdem die Erde existiert Tag für Tag im Osten an unserem Horizont aufgeht, ja dieses lebensspendende Wunder ist gerade im Begriff unterzugehen und taucht die gesamte Stadt in ein orange goldenes Licht und man bekommt den Eindruck als ziehe Sie einen kometenhaften Schweif hinter sich her, wärhend Sie ruhig und dramatisch zugleich hinterm Horizont im Westen untergeht. Dabei übergibt die heiß brennende Plasmakugel, die permanent Wasserstoff in Helium fusioniert die Stadt ab an die lange und ereignisreiche Nacht des Orients.

Ezzy und Paul müssen beide sehr früh ins Bett, denn ihr Flug zurück nach San Francisco und Irland geht sehr früh am Morgen und sie müssen sich bereits um 04:00 Uhr auf den Weg zum Flughafen machen. Ihr Leben, ihr Alltag, ihr Job und ihre Verpflichtungen rufen nach ihnen und deshalb müssen sie ihre Reise hier an dieser Stelle beenden, um sie ein anderes Mal in einem anderen Land fortzusetzen, wenn es das Freizeitkonto zulässt. Selbstverständlich tauschen wir unsere Kontakte miteinander aus und verabschieden uns voneinander. Kaum habe ich mich von den beiden verabschiedet, komme ich mit drei Jungs ins Gespräch, die unabhängig voneinander alle heute neu im Hostel angekommen sind. Wir sitzen an einem der hohen Tische der Dachterrasse und unterhalten uns, während der DJ langsam in Fahrt kommt. Einer von Ihnen ist Fassil aus Indien, der ein eigenes Business für Software- und Programmierdienstleistungen anbietet. Der andere ist Georgio aus Kolumbien. Er betreibt eine Online-Plattform für lokale Fotografen und Kunden, die einen Fotografen in ihrer Nähe suchen. Der dritte ist Kai aus Deutschland. Er ist noch sehr jung und gerade erst mit der Schule fertig geworden, soweit ich mich recht erinnere. Wir verstehen uns auf Anhieb extrem gut und unterhalten uns angeregt. Nach einer Weile finden wir heraus, dass wir unheimlich gerne Schach spielen, also zögern wir nicht lange und starten ein paar Partien. Wir knabbern nebenbei unsere Snacks, die Jungs trinken Bier, und wir haben einen klasse Abend zusammen.

Zu meiner Enttäuschung muss ich feststellen, dass ich bei weitem nicht mehr so gut im Schach bin, wie ich einst angenommen hatte und muss mich gegen Fassil und Georgio geschlagen geben. Um 22 Uhr gibt noch einer der Hostel-Mitarbeiter überraschend eine kleine Stand-Up Comedy Vorstellung.

Nach der Vorstellung ist es bereits nach 23 Uhr und ich begebe mich auf mein Zimmer, um eine Mütze Schlaf zu bekommen, denn morgen möchte ich noch einige Dinge erledigen, wie beispielsweise meinen Visumantrag und meinen Pass per DHL Express verschicken, ein paar Stunden schreiben und anschließend die Stadt und die Sehenswürdigkeiten auf der Europäischen Seite erkunden.

Heute möchte ich endlich die Hagia Sophia mit meinen eigenen Augen erblicken! Ich habe diesem Moment bereits so lange entgegengefiebert. Wenn ich an Istanbul denke, muss ich unmittelbar an das antike römische Reich denken, als die Stadt das östliche Zentrum des römischen Reichs war und Konstantinopel hieß oder als es nach dem Fall des römischen Reichs Byzanz genannt wurde. Die Tragweite und geschichtliche Relevanz dieser Stadt oder nur dieses Bauwerks in diesem Blog zu beschreiben, würde den Umfang über alle Maßen sprengen. Voller Vorfreude auf den heutigen Tag frühstücke ich auf der Dachterrasse und beobachte erneut, wie neue Gäste im Hostel ankommen. Pflichtbewusst wie ich bin, erledige ich erst meinen Büro- und Orgakram und mache mich erst am späten Nachmittag Abend auf den Weg zum Stadtteil Sultanahmet. Ich laufe eine ganze Weile durch die Stadt, bis ich an der U-Bahn Station Sishane ankomme und fahre zwei Stationen bis nach Vezneciler.
Ich verlasse die U-Bahn und steige unzählig viele Treppenstufen hinauf, bis ich endlich wieder an der Oberfläche angekommen bin. Ich orientiere mich in Richtung Großer Basar, denn ich wollte den Basar besichtigen, bevor ich zur Hagia Sophia gehe. Wie so oft gönne ich mir unterwegs ein Glas meines frisch gepressten Lieblingsgetränks!

Es ist bereits dunkel geworden und ich ziehe gemütlich durch die Straßen dieses Stadtteils, während meine Aufmerksamkeit und Blicke von einem Laden zum anderen wandern. Die Verkäufer bieten allerlei Waren an. Von Klamotten, Elektronik, Stoffe und Teppichen, Süßigkeiten, getrocknete Früchte, Honig, Nüsse, Badezusätze, Blüten und Tees, Handyhüllen und Zubehör bis hin zu Gewürzen und sonstigem Allerlei. Die Düfte an jedem Laden, an dem man vorbeikommt, sind so intensiv, als auch vielfältig und man nimmt sie alle auf einmal wahr. Man muss ganz gezielt an die einzelnen Waren herantreten, sich konzentrieren und tief einatmen, um sie voneinander zu unterscheiden. Es ist wie ein wildes Sammelsurium aus “Tausend und einer Nacht”. Egal was man sucht, in Istanbul wird man es wohl finden.






Nach einer Weile komme ich an einem der Portale zum großen Basar an. Zu meiner Überraschung musste ich leider feststellen, dass der Basar bereits geschlossen ist. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Ich dachte, dass der Bazar mindestens bis 22:00 Uhr oder möglicherweise sogar die ganze Nacht geöffnet hat.

Für mich ist das aber überhaupt kein Problem, denn ich kann einfach morgen wieder kommen und den Basar besuchen.
Also entscheide ich mich dazu, als nächstes die Hagia Sophia aufzusuchen. Auf dem Weg dorthin laufe ich wieder an vielen Ständen vorbei und bestaune die unzähligen Versuchungen. Voller Neugier werde ich an einem der Stände letztendlich schwach, denn ich frage mich schon die ganze Zeit, wie diese orientalischen Süßigkeiten und Früchte wohl schmecken. In einem Moment der mentalen Schwäche lasse ich mich also hinreißen und kaufe wie verrückt die vielen verschiedenen Sorten die mich anlächeln und so lange verführt haben.

Gleichzeitig lasse ich mich auch noch wie ein Anfänger abzocken, denn ich habe vor lauter Impuls Kaufrausch vergessen vorher zu verhandeln und die Tüten befüllen lassen. Als der Ladenbesitzer mir am Ende mitteilte, dass er für die ca. 1,7kg fast 20€ haben wollte, war ich etwas schockiert. Egal, denke ich mir und bezahle den Mann. Ich gehe weiter und komme nach einer Weile an einem Eisstand vorbei. Da mein Wille bereits gebrochen war, gebe ich auch hier der Versuchung nach und gönne mir eine Waffel mit drei Kugeln, Schoko-, Vanille- und Himbeereis.
Im Dunkel der Nacht schlendere ich weiter die leicht abschüssige, belebte Straße entlang, als plötzlich ein riesiger weiter Platz vor mir auftaucht und stolz beleuchtet dahinter die monumentale und wunderschöne Hagia Sophia die Szenerie überragt. Ich passiere eine Sicherheitsschleuse und gelange auf einen großen Vorplatz und eine faszinierende Gartenanlage mit beleuchteten Springbrunnen, die zwischen Hagia Sophia und der Sultan Ahmet Moschee, der sogenannten blauen Moschee, angelegt wurde.

Es ist ein ruhiger Abend, das Wasser des Springbrunnens plätschert und vereinzelt sitzen Leute ruhig und gemütlich auf den Bänken der Parkanlage und genießen die Atmosphäre.
Ich wandere ein wenig die Anlage entlang und bestaune dabei permanent die Hagia Sophia mit ihrer allmächtigen, historischen und monumentalen Präsenz. Ich biege nach links ab und laufe nun direkt auf dieses imposante Bauwerk zu, welches derzeit eine Moschee ist.

Bei einem Straßenverkäufer auf dem Platz vor der Hagia Sophia, die zugleich Kirche, Moschee und Museum ist hole ich mir einen Becher Caj und setze mich voller Bewunderung, Faszination und Ehrfurcht vor dieses Bauwerk, das ursprünglich im Jahr 360 bzw. 537 nach Christus als Kirche erbaut wurde. Ich betrachte die Details, wie die Kuppel, die Minarette und die vielen Hilfskonstruktionen, die notwendig waren, um das imposante Gebilde und die riesige freie Kuppel im Zentrum des Gebäudes, die lediglich von vier Säulen getragen wird, stützen zu können. Als ich so dasitze und über dieses Monument der Menschheitsgeschichte nachdenke, beginnt, zu meiner Überraschung, völlig unvorbereitet der Muezzin damit zum Gebet aufzurufen. Er tut dies jedoch nicht alleine, denn plötzlich stimmt der Muezzin von der anderen Seite der Gartenanlage von der Sultan Ahmet Moschee ebenfalls das Gebet an und die beiden Häuser Allahs rufen abwechselnd gemeinsam die Gläubigen zum Gebet auf. Just in dem Moment als er mit dem Gebet begann, flog ein Schwarm kleiner Vögel von den Dächern der Hagia Sophia hoch in die warme Luft des tiefblauen Abendhimmels wie eine Wolke aus rosa Blütenblättern, die vom Turm strömen und sich über mir zerstreuen.
Ich sitze wie gebannt da und lausche voller Gänsehaut und Bewunderung diesem Schauspiel. Ich habe den Ruf des Muezzin, der traditionell von seinem Minarett herab gesungen hatte, schon oft in meinem Leben gehört, aber selten hat mich der Gesang so beeindruckt wie an diesem Tag. Es gibt nur eine einzige Begebenheit in meinem Gedächtnis, bei der ich dieses Gebet noch faszinierter wahrgenommen habe. Es war damals im Jahr 2014, als ich im hohen Atlas in Marokko war und gerade von den tief verschneiten Bergen herunterkam, nachdem ich dort alle 4000er bestiegen hatte, die dieser Teil des Gebirges zu bieten hatte. Es war an einem sonnigen Morgen mit klarem blauen Himmel, als ich durch ein weites Tal auf dem Weg nach Imlil vorbei and Aremd geschritten bin und plötzlich mehrere Moscheen der vereinzelten Ortschaften an den Berghängen gleichzeitig das Gebet zwischen den weiten Berghängen anstimmten und der Klang von der mächtigen Kulisse des Atlas widerhallte. Nur dieser Moment war mächtiger als das, was ich gerade hier erleben durfte. Das Gebet verstummte bereits und ich sitze immer noch fassungslos da, während ich versuche, das Erlebte zu verarbeiten und in Worte zu fassen. Ich sitze noch eine ganze Weile so da und bewundere diesen Ort, während ich einfach alles, was in diesem Moment gerade um mich herum geschieht, in mich aufsauge. Da ist beispielsweise ein älterer Herr, der mit einem fahrbaren Stand versucht Sesamkringel mit Nutella zu verkaufen. Dazu ruft er in regelmäßigen Abständen etwas Unverständliches über den gesamten Platz in der Hoffnung dadurch, potentielle Kunden auf sich aufmerksam zu machen. Ein Stück weiter ist ein weiterer mobiler Stand, der gebratene Maiskolben und geröstete Kastanien verkauft. Es duftet überall danach. Ich beschließe in dieser Kulisse meinen Beutel mit Süßigkeiten zu öffnen und erforsche die verschiedenen Geschmäcker der vielen kleinen Überraschungen.
Spätestens die süßen getrockneten Früchte, auf deren Oberfläche der Zucker sogar schon kristallisiert ist, verpassen mir den absoluten Zuckerschock und ich muss die Tüte wieder schließen, sonst erkranke ich noch an Diabetes, wenn ich nicht aufhöre.
Ich entscheide mich bewusst dafür, das Innere der Hagia Sophia noch nicht zu besichtigen und beschließe morgen eine erneute Stadttour, diesmal jedoch früher zu unternehmen. Ich will nochmal den Bazaar aufsuchen, die Hagia Sophia bei Tageslicht und von innen besichtigen.
Ich mache mich also auf den Weg zurück und laufe die Straße entlang, die mich zur U-Bahn Station bringt. Am Rande einer Moschee entdecke ich ein paar Fressnäpfe und provisorische Behausungen für die kleinen Fellknäuel, die in der Stadt leben und freue mich darüber, dass sich vereinzelte Menschen hier in Istanbul ein Herz fassen und sich um die vielen Katzen der Stadt kümmern.

Dies war der erste Teil meines Blogeintrags über Istanbul. Ich war insgesamt einen Monat in dieser riesigen und faszinierenden Stadt und habe viele, viele Dinge erlebt. Den zweiten Teil gibt es zeitnah für euch!
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